Recruiter wissen es längst – oder sollten es zumindest wissen: Gute Fachkräfte fallen heute längst nicht mehr vom Himmel, sondern können sich die Top-Jobs in vielen Branchen aussuchen. In vielen Fällen muss eher das Unternehmen dem kritischen Blick des Kandidaten standhalten als umgekehrt. Kein Wunder also, dass im Bereich HR die Optimierung der Candidate Experience seit Jahren zu den Top Recruiting Trends gehört. Nur wenn die Erfahrung der Bewerber rundum positiv ist, kann es Unternehmen gelingen, zum einen im „War of Talents“ die besten Kräfte von sich zu überzeugen und zum anderen neue Mitarbeiter von Anfang an sich zu binden.
Allerdings scheinen noch längst nicht alle Unternehmen den Recruiting Trend „Optimierung der Candidate Experience“ erfasst zu haben. Zu häufig machen Arbeitgeber bei der Personalsuche und -auswahl immer noch klassische Fehler. Im Folgenden erhalten Recruiter einen Überblick über diese Fehler sowie Lösungsansätze, mit denen sie gezielt gegensteuern können.
Die Candidate Experience ist die gesamte Erfahrung, die ein Bewerber während seiner Candidate Journey macht – vom Auffinden und Lesen der Stellenanzeige über den ganzen Bewerbungsprozess bis in die Onboarding-Phase hinein. Hierbei gewinnt der Kandidat essenzielle Eindrücke von seinem potenziellen neuen Arbeitgeber. Mit einer positiven Candidate Experience erzielen Arbeitgeber Wettbewerbsvorteile durch motivierte und qualifizierte Mitarbeiter – und punkten zusätzlich im eigenen Employer Branding. Denn die Kandidaten teilen inzwischen ihre Erfahrungen sehr häufig in sozialen Medien oder auf Arbeitgeber-Bewerbungsseiten wie kununu, Indeed oder Glassdoor. Je positiver also die Candidate Experience, desto größer die Chancen für ein Unternehmen, attraktiv auf die besten Bewerber zu wirken.
Für eine optimale Candidate Experience sollten Sie die folgenden Fehler unbedingt vermeiden:
Unzureichende Ressourcen für Recruiting und Onboarding
Einige Manager großer Unternehmen rüsten in vielen Abteilungen auf, sparen dann aber an den Personalabteilungen – in offenkundiger Unkenntnis darüber, dass nur gut ausgestattete HR- und Recruiting-Büros für einen ausreichenden Zulauf an qualifizierten Bewerbern sorgen können. So stehen Recruitern nur begrenzte Mittel für Active Recruiting, die Verbreitung von Stellenanzeigen, digitale Recruiting-Tools und das gesamte Bewerbermanagement zur Verfügung.
Recruiting passt nicht zur Zielgruppe
Vor allem wenn Sie Vertreter der Generationen Y und Z, also die „Digital Natives“ gewinnen möchten, müssen Sie diese auch abholen – genau dort, wo diese Kandidaten unterwegs sind, und genau so, wie es ihnen gefällt: schnell, einfach und ansprechend in der Tonart. Mobile Recruiting ist mehr als einfach nur den Bewerbungsprozess via Internet ablaufen zu lassen, sonst aber in der klassischen Art zu kommunizieren!
Mangelnde Unternehmenswerte
Die Werte, für die ein Arbeitgeber einsteht, werden vor allem für jüngere Jobsuchende immer wichtiger – das belegen zahlreiche Studien und Befragungen. Ein Unternehmen, das wenig werteorientiert erscheint oder dessen Werte mit den eigenen nicht übereinstimmen, kümmert sich offensichtlich zu wenig um sein Employer Branding. Negativ fällt auch auf, wenn Unternehmen zwar vollmundig mit ihren Werten werben, diese aber dann nicht glaubhaft vermitteln können.
Unehrlichkeit und mangelnde Authentizität
Arbeitnehmer bevorzugen authentische und ehrliche Unternehmen. Eine ganz schlechte Figur machen z. B. Firmen, die ihren Bewerbern vor Vertragsabschluss großartige Versprechungen machen, diese dann aber nicht einhalten. Ebenso wichtig ist ein durchweg glaubhafter und stimmiger Außenauftritt in der Unternehmens-Webseite, der keine Zweifel an der eigenen Seriosität und Professionalität aufkommen lässt.
Unzeitgemäße Stellenanzeigen
Stellenanzeigen gehören noch immer zu den wichtigsten Mitteln im Recruiting. Umso wichtiger, dass sie im Hinblick auf die digitale Nutzung responsiv designt sind. Ist das nicht der Fall, müssen Smartphone-Nutzer und andere mobile Bewerber zum Lesen oder Betrachten einzelner Elemente erst mühsam auf ihren Displays herumwischen und -klicken. Das ist den meisten zu mühsam!
Unklares Anforderungsprofil
Was muss, was soll Ihr neuer Mitarbeiter können, welche Soft Skills soll er mitbringen? Stellenangebote ohne klare Information über die Erwartungen an die Bewerber sind bei diesen schnell durchgefallen. Häufig kommt es zu einem unpräzisen und unverständlichen Anforderungsprofil, wenn im Unternehmen keine Einigkeit über die gewünschten Fähigkeiten des Kandidaten besteht oder die offenen Stellen nur unzureichend beschrieben sind.
Karriereseite unbefriedigend
Laut der jährlichen Studie „Recruiting Trends“ der Universitäten Bamberg und Erlangen-Nürnberg ist auch im Jahr 2020 etwa jeder vierte Jobsuchende auf einer unzeitgemäßen Karrierewebseite gelandet. Kritikpunkte: die Seite kann nicht gut auf dem Smartphone abgebildet werden; die Navigation ist kompliziert, die Gestaltung ist wenig ansprechend; keine/zu wenig Informationen zum Unternehmen und dem Angebot für Mitarbeiter.
Anforderung aufwendiger Unterlagen
Müssen Sie tatsächlich noch „Classics“ wie Bewerbungsanschreiben und Lebenslauf verlangen? Diese Unterlagen kosten Bewerber viel Aufwand – daher werden sie als negative Erfahrung im Rahmen der Candidate Experience bewertet. Oft sagt das Profil auf einem Portal wie xing und LinkedIn oder einem Social Media-Account mehr aus als ein braver Lebenslauf. Auch Videobewerbungen sind inzwischen vielfach gängiger als die gute alte Bewerbungsmappe.
Bewerbungsprozess zu umständlich
Sie bieten Jobsuchenden (noch) kein One-Click-Verfahren an? Das dürfte die Candidate Experience in vielen Fällen trüben. Talente, denen beim Klick auf „Jetzt bewerben“ erst einmal lange Formulare entgegenkommen, steigen schnell aus. Digitale Kandidaten wollen ihre Bewerbung schnell und unkompliziert abschicken – andernfalls brechen sie den Prozess häufig ab und hinterlassen nicht selten eine negative Bewertung im Netz.
Bewerbungsprozess zu langwierig
Schon im Jahr 2015 ergab eine Studie des Job- und Bewertungsportals Glassdoor, dass der Prozess – vom ersten Schritt der Kontaktaufnahme bis zum Onboarding – in Deutschland tatsächlich rund 30 Tage dauert. Jahre später, nämlich 2019, bringt eine Stepstone-Untersuchung ähnlich traurige Zahlen ans Licht. Top-Bewerber, die die Wahl haben, warten heute sicher nicht mehr lange, bis ein Unternehmen mit einer Rückmeldung kommt.
Schlechte Kommunikation
Die Bewerbung ist raus – und dann kommt das große Schweigen. Unternehmen, die Bewerbern nicht einmal eine Empfangsbestätigung zukommen lassen und sich womöglich erst einige Wochen später melden, zeigen ein schlechtes Candidate Experience Management. Ebenso wie potenzielle Arbeitgeber, die Kandidaten keinerlei Information über den Stand des Bewerbungsprozesses zukommen lassen oder nach einem Interview kein Feedback geben.
Unseriöses Verhalten des potenziellen Arbeitgebers
Arbeitgeber können in vielerlei Hinsicht einen negativen Eindruck auf den Bewerber machen. Vor allem beim persönlichen Gespräch ist die Art des Umgangs entscheidend. Wenn sich der Personaler oder ein anderer Vertreter des Unternehmens hier unseriös verhält, z. B. erkennbar schlecht auf das Interview vorbereitet ist, ausschließlich Standardfragen stellt, unpünktlich kommt oder eilig wirkt, kann er sich darauf einstellen, dass der Bewerber woanders eine bessere Candidate Experience suchen wird.
Das absolute No-go: Unfreundlichkeit im Bewerbungsprozess
Sämtliche Untersuchungen zum Thema Candidate Experience belegen es: Empfindet ein Kandidat das Verhalten des potenziellen neuen Arbeitgebers als unfreundlich, ist das Unternehmen mit Sicherheit bei ihm „unten durch“. Als sehr unhöflich gilt es z. B., wenn eine Absage mit nichtssagenden Worten oder gar nicht begründet wird oder wenn der Bewerber beim Vorstellungsgespräch unfreundlich und respektlos empfangen wird.
Wie können Sie als Recruiter Candidate Experience Fehler vermeiden?
Die gute Nachricht vorneweg: Schon wenn Sie die „klassischen“ Recruiting-Fehler identifizieren, sind Sie bereits in Richtung eines erfolgreichen Candidate Experience Management unterwegs. Nehmen Sie sich Zeit, Ihre Erfahrungen mit Kandidaten und Ihr eigenes Employer Branding zu analysieren. Leiten Sie auf dieser Basis – ggf. im Verbund mit dem Management – Punkt für Punkt entsprechende Gegenmaßnahmen ein.
Grundlegende Tipps vom Fachmann: Wolfgang Brinkwedde, der Leiter des Heidelberger Institute for Competitive Recruiting und Programmmanager der Candidate Experience Awards für die DACH-Region, rät Personalern dazu, sich einmal bei sich selbst zu bewerben, um eine eigene Candidate Experience zu machen und damit zu erkennen, wo die Schwachpunkte liegen. Ein zentraler Ansatzpunkt ist dem Experten zufolge die Karriere-Webseite. Diese – am besten mit Hilfe von Profis – auf den heutigen „state of the art“ zu bringen, sollte eine der ersten Schritte hin zu einer positiven Candidate Experience sein.